- Point of view
Kundenzentrierung in der Finanzbranche
Herausforderungen in einer digitalisierten Welt
Die Banken- und Finanzbranche ist einem raschen Wandel unterworfen, der durch sich verändernde Kundenbedürfnisse, neue Technologien, die COVID-19 Pandemie, neue und disruptive Wettbewerber, neue Generationen sowie neue Arbeitsweisen angetrieben wird. Obwohl sich das Umfeld in Bezug auf disruptive Konkurrenten schnell verändert, scheint das Bankgewerbe in seiner traditionellen Rolle festzustecken, mit deutlich verbesserungsbedürftigen Technologien und Geschäftsmodellen. Dies führt zu einem schlechten Kundenerlebnis, was letztlich zu Marktanteilsverlusten bei den traditionellen Banken zugunsten ihrer Konkurrenten führt, bei denen es sich häufig um Nicht-Banken oder Nearbanks handelt. Obwohl die traditionellen Banken Maßnahmen ergriffen haben, um kundenorientierter zu werden, stehen sie oft vor der Herausforderung, dies in der Realität umzusetzen. Es geht nicht nur um den Verlust von Marktanteilen, denn sogenannte digitale Ökosysteme oder "digitale Käfige" aufseiten der Wettbewerber machen die Rückgewinnung von Kunden sehr schwierig oder manchmal unmöglich. Sollte es dennoch gelingen Kunden wiederzugewinnen, so ist dies bis zu 25-mal teurer, als sie von Vornherein in der Organisation zu halten. Umso notwendiger ist es für traditionelle Banken, die Reaktionszeit auf eine veränderte Situation oder ein verändertes Kundenverhalten deutlich zu verkürzen und von einer reaktiven Position zu einer proaktiven Trendsetter-Position zu wechseln.
Eine Grundvoraussetzung, um auf verändertes Kundenverhalten zu reagieren, ist die Verfügbarkeit, Auswertung und Interpretation von Daten. Obwohl Banken eine große Datenmenge hinsichtlich Ihrer Kunden besitzen, sind diese selten ausreichend strukturiert verfügbar, um sie auszuwerten. Selbst die auswertbaren Daten werden nur sporadisch analysiert. Die Interpretation historischer Kundendaten bleibt in weiten Teilen demnach aus. Dies hat zur Folge, dass kaum die richtigen Schlüsse für ein zukünftiges Geschäftsmodell abgeleitet werden können. Sollte es einigen wenigen Instituten gelingen, Daten auszuwerten und zu interpretieren, fällt es den Banken schwer, kurzfristig zu reagieren, da das Geschäftsmodell nicht ausreichend dynamisch ist. Schlussendlich kann gesagt werden, dass, selbst wenn die richtigen Schlüsse bspw. aus der Datenanlayse gezogen werden, die Reaktionszeit häufig zu lang ist. Das führt zu einer Abwanderung von Kunden und damit zu Marktanteilsverlusten.
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Herausfoderungen für Banken
Die Digitalisierung im Bankensektor und damit u.a. die Verbesserung oder gar Ablösung veralteter Technologien ist nicht nur ein anhaltender Trend, sondern stellt für die meisten Institute auch eine große Herausforderung dar. Neben dem wachsenden Druck, die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, was steigende Kosten und sinkende Erträge bedeutet, verschärfen die Erfordernisse der Digitalisierung die schwierige Situation der Banken. Nicht nur die Notwendigkeit, sich mit dem Thema Digitalisierung für das eigene Institut auseinanderzusetzen, sondern auch das ständige Aufkommen disruptiver Technologien setzt Banken unter massiven Druck, relevante Marktanteile zu halten. In den letzten Jahren ist die Bedeutung digitaler Lösungen für Kunden gewachsen und zur Normalität geworden.
In den 1990er Jahren besuchten die Kunden mehrmals pro Woche die Bankfiliale, um ihre Bankgeschäfte zu erledigen. Dies hat sich vor allem durch das Aufkommen des World Wide Web und die damit verbundene schnellere Informationsbeschaffung geändert. Der Wunsch nach ganzheitlichen digitalen Lösungen wurde deutlich verstärkt durch die COVID-19 Pandemie. Während persönliche Interaktion in der Vergangenheit lediglich als physische Interaktion wahrgenommen wurde, wird heutzutage die virtuelle Kommunikation und der Austausch über herkömmliche Interaktionsmedien als überwiegend persönlich angesehen. Das eröffnet einerseits Unternehmen deutlich größere Möglichkeiten mit Kunden zu interagieren, stellt aber bei Nichtbeachtung eine ähnlich große Gefahr dar. Kommunikation und Interaktion sind auch heute noch für die meisten Menschen von zentraler Bedeutung. Die Möglichkeit, sich einzubringen, zu kommentieren, zu vernetzen, zu teilen und zu bewerten, wird von den meisten Menschen geschätzt.
Verunsicherung durch Digitalisierung
Doch was früher persönlich kommuniziert wurde, wird heute zunehmend über soziale Medien gehandhabt, insbesondere wenn Meinungen öffentlich geäußert werden. Mithilfe von Schlagwörtern, die durch einen Hashtag gekennzeichnet sind, ist es einfacher denn je, zu kommentieren, zu informieren und für Schnelligkeit, Transparenz und geringe Komplexität zu sorgen. Das Internet ist im Grunde ein universelles Medium, das auch die synchrone oder zeitversetzte zwischenmenschliche Verständigung oder die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ermöglicht.
Diese rasante Entwicklung führt bei Kunden teilweise zu Verunsicherung und Überforderung. Kunden wollen heute ihren Kommunikations- und Handlungsweg spontan wählen und eine maximale Entscheidungsfreiheit bezüglich des Kontaktweges haben. Die Kombination kann u.a. von der Dienstleistung oder dem Produkt sowie von der Befindlichkeit des Kunden abhängen.
Für Banken ist es wichtig, eine Vielzahl von unterschiedlichen Kanälen anzubieten, um den Kunden die gewünschte Flexibilität in Bezug auf Kommunikation und Vertrieb zu bieten. Die richtige Auswahl der Kanäle und das entsprechende Marketing müssen von den Banken institutsspezifisch betrachtet werden und mit der jeweiligen Kundenstruktur im Einklang stehen. Kunden können sich heute über ihre mobilen Geräte wie Smartphones oder Tablets auch unterwegs sofort über ihren Status quo informieren und Produkte und Dienstleistungen ebenfalls online in Anspruch nehmen. Die Entwicklung digitaler Anwendungen führt zu mehr Informationsfreiheit in den drei Kaufphasen an der Kundenschnittstelle. Die Kunden werden durch gezieltes Marketing sensibilisiert und suchen in der Vor-Kauf-Phase nach Informationen und vergleichen das Produkt oder die Dienstleistung mit Alternativen. Zu beachten ist, dass an dieser Stelle demografische Unterschiede relevant sind, da die Nutzung digitaler Medien je nach Alterssegment unterschiedlich ausfallen kann. In der Kaufphase trifft der Kunde eine konkrete Kaufentscheidung und nutzt das Produkt oder die Dienstleistung entsprechend in der Kaufphase.
Schlussendlich kann gesagt werden, dass die Zukunft der Kundenbeziehung „perso-digital“ ist. Der Begriff setzt sich wie folgt zusammen:
- Persönlich: Unabhängig vom gewählten Vertriebs- und Kommunikationskanal muss die menschliche und vertrauensvolle Komponente erhalten bleiben. Bankgeschäfte und generell die Finanzbranche sind aus Sicht der Kunden nach wie vor sensible Themen.
- Personalisiert: bei allen Produkten und Dienstleistungen. Der Kunde erwartet ein maßgeschneidertes Angebot an Produkten und Dienstleistungen mit passgenauen Ansätzen. Die Analyse von Big Data, d.h. bspw. die Auswertung und Interpretation von historischen Daten, kann zum Vorteil des Kunden genutzt werden. Diese Praxis hat sich inzwischen schon als gängig etabliert.
- Digital: Alle Produkte und Dienstleistungen sollten grundsätzlich digital und möglichst ohne Medienbrüche zugänglich sein. Entscheidend ist die Geschwindigkeit des Wandels im Digitalisierungsprozess. Aufgrund der hohen Veränderungsbereitschaft der Kunden kann eine verzögerte Reaktion der Bank zu einem Wettbewerbsnachteil führen. Die Begriffe persönlich, personalisiert und digital müssen daher bei jeder Lösung ganzheitlich betrachtet werden. Offline-Kanäle sollten daher kritisch auf ihre Daseinsberechtigung hin überprüft werden.
Kundenbedürfnisse und Geschäftsmodelle
Im Finanzdienstleistungssektor gibt es im Grunde kein Unterscheidungsmerkmal bei den Produkten und Dienstleistungen, da diese nahezu identisch und austauschbar sind. Die Banken stehen daher vor einer größeren Herausforderung, was das Angebot für ihre Kunden angeht, was auch durch den wettbewerbsbedingten Preisverfall bei Bankprodukten erschwert wird. In der Vergangenheit war die Verbindung zwischen dem Bankberater und den Kunden durch eine Vertrauensbasis und eine besondere Beratungsqualität gekennzeichnet. Heute legen die Kunden Wert auf Transparenz, insbesondere bei den Kosten, aber auch auf den Nutzungskomfort. Sie sind insbesondere dann abwanderungs-gefährdet, wenn sie schlechte Erfahrungen mit dem Berater oder dem Dienstleister gemacht haben.
Die meisten Kunden behalten ihre Geschäftsbeziehung bei der jeweiligen Bank aus Gründen wie Vertrauen, Kompetenz und Nähe, aber auch des benutzerfreundlichen digitalen Zugangs. Ambivalent dazu ist der Wunsch nach mehr Online-Unterstützung. Dies lässt sich anhand von Kundenwünschen wie Bequemlichkeit, Einfachheit, Produktivität, Spaß und Image nachvollziehen. Kunden nutzen ihre ansonsten unproduktive Zeit, zum Beispiel während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, durch mobile Geräte und digitale Anwendungen produktiv, um letztlich mehr Freizeit und einen höheren Nutzungskomfort zu haben. Etablierte Banken müssen beispielsweise das Defizit innerhalb ihrer digitalen Infrastruktur so anpassen, dass Kunden selbstständig und ortsübergreifend über Onlinekanäle fallabschließende oder vorbereitende Entscheidungen treffen können. Damit können Beratungsgespräche digital oder persönlich auf Basis digitaler Vorbereitungsmöglichkeiten so verkürzt werden, dass sie den Kundenbedürfnissen entsprechen. Auch die Mitarbeiter, insbesondere der jüngeren Generation, fordern aufgrund ihres eigenen Nutzungsverhaltens digitalisierte Prozesse.
Veränderungen bei den Kundenbedürfnissen
Kundenzentrierung ist eines der Schlüsselwörter in der Finanzbranche, aber ihre Umsetzung ist noch nicht abgeschlossen oder hat in einigen Bereichen noch nicht einmal begonnen. In einer VUCA-Welt, die ein volatiles, unsicheres, komplexes und ambivalentes Umfeld umfasst, werden Kundenbedürfnisse unsicher und schwer vorhersehbar. Grundsätzlich zeigen sich auch Veränderungen im Verhalten und in den Bedürfnissen der Kunden mit erhöhter Geschwindigkeit. Kundenbedürfnisse können einerseits offensichtlich sein, indem sie verbalisiert werden, andererseits können sie aber auch versteckt sein.
Bei den bereits aufgeführten Bedürfnissen handelt es sich um offensichtliche Wünsche, die von Kunden kommuniziert werden oder durch Handlungen identifiziert werden können. Versteckte Kundenbedürfnisse können z.B. Mitgestaltung oder der Wunsch nach Selbstbestimmung sein, da diese nur durch eine qualitative Analyse ermittelt werden können. Qualitative Analysen sind schwieriger zu messen, können aber für die Gestaltung der Strategie und des Produktmanagements einen Mehrwert bieten.
Kundenzentrierung als Wettbewerbsfaktor
Die größte Herausforderung für Finanzinstitute besteht darin, dass die Kundenzentrierung eine fortlaufende Aufgabe und keine einmalige Angelegenheit ist. Es geht nicht nur darum, die Mitarbeiter an der Front zu befähigen, sondern es bedarf einer unternehmensweiten Umsetzung der kundenzentrierten Denkweise, angefangen bei der Führungsebene bis hin zu allen operativen und unterstützenden Abteilungen. Banken müssen die Kundenbedürfnisse stetig überwachen und konsequent in das Geschäftsmodell aufnehmen. Neben der Erhebung und Auswertung der Kundenwünsche müssen die richtigen Schlussfolgerungen für das Geschäftsmodell abgeleitet werden. Eine ausschließliche Betrachtung von Kundenbedürfnissen reicht nicht aus. Vielmehr müssen diese im Zusammenhang mit den Megatrends der Digitalisierung berücksichtigt werden.
Zur Sicherung zukünftiger Wettbewerbsvorteile ist es für Banken unabdingbar, den Kunden zu verstehen und in den Mittelpunkt sämtlicher Handlungen zu stellen. Ban- ken, welche die Bedürfnisse ihrer Kunden verstehen und damit maßgeschneiderte Angebote unterbreiten können oder über die gewünschten Kanäle kommunizieren, erzielen eine höhere Kundenloyalität sowie Kundendurchdringung und damit eine geringere Wechselbereitschaft.
Sowohl das Kundenverhalten als auch das externe Umfeld ändern sich ständig, was eine dynamische Anpassung des Geschäftsmodells erfordert. Kundenzentrierung ist kein Programm, sondern eine Änderung der Denkweise und des Verhaltens, die ein grundlegendes Engagement des gesamten Unternehmens erfordert, um anders zu denken und zu handeln. Kundenzentrierung hat sich zu einem strategischen Geschäftsgebot entwickelt, wenn Unternehmen Kunden anziehen, halten und neue Kunden gewinnen wollen, d. h. wenn sie nachhaltig profitabel und wettbewerbsfähig sein möchten.
Sie sollten den Wandel als ein normales kulturelles Element in der Unternehmensphilosophie implementieren. Die Geschäftsmodelle müssen neben einer geringen Komplexität auch leicht veränderlich und anpassbar sein. Die traditionellen Geschäftsmodelle von Banken weisen eine hohe Komplexität auf. Einzelne Produkte und Dienstleistungen werden über separate Prozesse und Technologien abgebildet. Die Konsequenz daraus ist, dass die Bank neben hohen operationellen Risiken insgesamt höhere Kosten zu tragen hat. Für die Kunden sind die Komplexität und mangelnde Flexibilität in der Zusammenarbeit mit der Bank sichtbar und führen häufig zu einem schlechten Kundenerlebnis. Dieses wird verstärkt durch die mangelnde Transparenz von Produkten, Dienstleistungen und Konditionen. Die neu aufkommenden Wettbewerber brauchen keine Digitalisierung. Sie werden bereits vollständig digital gegründet und kennen nichts anderes als digitale Infrastrukturen und Geschäftsmodelle.
Die Herausforderungen, vor der die Finanzbranche steht, sind groß. Neben der Wichtigkeit der Verfügbarkeit, Auswertbarkeit und Interpretation von Daten, ist das Thema Einführung und Erneuerung von intelligenter und teilweise selbstlernender Technologie als Voraussetzung zu sehen. Die Investition in das Thema Daten, mit entsprechender Technologie, im Einklang mit den Bedürfnissen des Kunden, um damit die Kundenzentriertheit sicherzustellen, sind die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft der Finanzbranche.
Der Artikel wurde im "FLF – Finanzierung Leasing Factoring" Heft 02/2023 veröffentlich. Author: Alwin Bathija, Partner Banking and Capital Markets, Genpact Germany.